„Benutze Herz und Verstand – Keine Angst, keine Angst“ durchaus darf man einmal erwähnen, dass es doch auch Überwindung kostet, wenn man eine Aktion im Namen des Lichts und der Hoffnung durchführt: Man weiß nie, was einen erwartet. Man weiß nie, wen man trifft. Man weiß nicht, ob die Leute gerade frisch etwas konsumiert haben oder auf Entzug sind. Man kann mit allem rechnen. Fairerweise muss man aber auch erwähnen, dass es einem jeden Tag im alltäglichen Geschehen ebenfalls so ergeht: Keine Ahnung, welche Laune der Chef hat, die Kollegin, welche Ereignisse was bei wem aus dem unmittelbaren Umfeld auslösen. Sprich: mit Ungewissheiten muss man irgendwie immer klarkommen.
Deswegen scheuen wir uns nicht, auch die Orte aufzusuchen, die im Alltag bestenfalls gemieden werden, sogenannte Brennpunkte mit Menschen, die aktuell nicht auf den Sonnenseiten der Mehrheitsgesellschaft anzutreffen sind. Und was das Ganze noch besser macht, ist, wenn man als Vorbild glänzen kann und der nächsten Generation zeigt, dass es völlig normal ist, auch mit Leuten auf der Straße respektvoll umzugehen und unseren Nächsten zu helfen: Miteinander füreinander und dabei mindestens die Welt verändern – mit Onkelz-Musik im Ohr.
So also auch wieder Anfang April in der Neckar-Metropole des Südens: Stuttgart. Jens, Steffi und Ehemann Christian, Hacki mit Sohn Aaron und ich, Anne, treffen uns wieder im Stammparkhaus am Rotebühlplatz. Drei Bollerwagen sind auch heute wieder supergut beladen, wie immer bringen Jens und Steffi Kleidung mit, so wie Jens auch Bananen und Mandarinen beisteuert.
Da die Vesperkirche nun nicht mehr stattfindet, stellen wir uns auf lange Fußmärsche durch eine überfüllte Königstraße ein. Mit dieser Erwartung ziehen wir los. Doch: Erstens kommt es anderes und zweitens als man denkt. Bereits an der Paulinenbrücke treffen wir circa 25 – 30 Leute an, die sich riesig freuen, uns zu sehen. Sie genießen das Wetter, warten auf ihren Dealer und nehmen dankend etwas Nahrung oder Kleidungsstücke von uns entgehen. Hier bleiben wir eine ganze Weile. Die Stimmung ist gut, und immer mal wieder kommen neue Personen, die gerne etwas haben möchten.
Auch ein älteres Damenpaar, zwei Freundinnen, kommen vorbei, und sind hocherfreut uns zu sehen. „Welch ein Zufall, welch ein Zufall“ sagen sie wiederholt, als können sie ihr Glück kaum fassen. Sie freuen sich über ein Lunchpaket, Hygieneartikel und nette Gespräche. Eine andere Dame stattet sich derweil bei Steffi und Christian mit passender Kleidung aus. Als sie ihre Hose auszieht, motzt ihr „Mitbewohner“ rum. Sie solle sich doch gefälligst auf dem Klo – er zeigt in die Richtung, in der eine neue Toilette steht – umziehen, hier sei ein Kind, das würde ganz verstört werden. Ich sage, dass alles gut ist und Aaron durchaus schon nackte Frauen gesehen hätte. Die Frau hat die Hose in der Zwischenzeit angezogen und geht nun doch ein paar Schritte um die Ecke, um die Oberteile überzuziehen. Neu ausgestattet holt sie sich dann noch Nahrung ab und mischt sich anschließend unter die Gruppe.
Dann brechen wir auf in Richtung Königstraße. Wie immer ist diese gefüllt mit Shoppenden. Aber was mich dieses Mal völlig überrascht, ist, dass die Anzahl der Schlafplätze und sogar grundsätzlich das Vorhandensein von Schlafplätzen zunimmt, je näher wir dem Bahnhof bzw. der Klett-Passage kommen. Das ist neu. Bisher war die Königstraße „sauber“. Wir können hier tatsächlich all unser Mitgebrachtes verteilen. Wir reden wieder mit unserer bekannten Person, die vor einem Supermarkt sitzt. Er erklärt, dass es der beste Platz der Straße ist und er ihn regelmäßig verteidigen muss.
Vor der Klett-Passage biegen wir links ab und möchten noch vor dem Rewe vorbeischauen. Unsere Bollerwagen sind nahezu leer. Auf einer Bank sehen wir drei Herren sitzen, eine schlafende Person liegt in ihrem Schatten. Ihm stellen wir eine Flasche Wasser hin. Die drei Männer fragen wir, ob sie Kaffee möchten. Sie verstehen zunächst nicht, bis der eine den beiden anderen erklärt: Die Deutschen verteilen Kaffee kostenlos. Erst dann reagieren sie und nehmen gerne einen ein. Vor dem Rewe werden wir dann unsere letzten Essensgaben an drei weitere Herren los. Nun sind wir „ausverkauft“.
Wieder einmal war es ein erfolgreiches Licht der Hoffnung. Wieder einmal konnten wir uns Fremde mit Dingen des alltäglichen Gebrauchs versorgen. Wieder einmal konnten wir Gespräche mit Leuten führen, die wir mit jeder Aktion kennengelernt haben. Wieder einmal haben wir festgestellt, wie gut es tut, helfen zu können und den Sinn bzw. die Sinnhaftigkeit unseres Handelns direkt zu erleben.
Deshalb vereinbaren wir direkt einen neuen Termin, als wir auf dem Weg zu unseren Autos sind und uns nach dem Verstauen der Utensilien wie Wasserkanne und Bollerwagen verabschieden. Denn wie so oft ist nach der Aktion vor der Aktion.
Wenn auch Du Lust hast, eine solche Aktion zu unterstützen oder sogar selbst zu planen und durchzuführen, melde Dich unter https://mein.bosc.de an.